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Rezension: Prof. Harald Geißler

Rezension in Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), Jahrgang 76, Heft 6/2007, S. 362

Rezension: Der Managementflüsterer. Support für Führungskräfte.

Hinter dem vielleicht etwas reißerischen Titel steht das Konzept eines „Integrierten Management Coachings“. Seine Grundidee ist die systematische Integration von Beratung, Training und Moderation als Managementsupport. Der Autor wendet sich damit gegen das – wie er es nennt – „klassische Coaching“, dem er vorwirft, Coaching mit „Couching“, d.h. mit Therapie zu verwechseln, indem Coaching als „therapielastiges Gespräch unter vier Augen nach getaner Arbeit“ konzipiert wird (S. 7). Der Anspruch seines Ansatzes hingegen zielt auf eine facettenreich breit angelegte Supportleistung, die „in Echtzeit“, also nicht erst in der nachträglichen Reflexion erfolgt und sich gleichermaßen an den Einzelnen, wie auch an Gruppen, Organisationseinheiten und letztlich an die gesamte Organisation wendet. Mit dieser Programmatik tritt der Autor gegen die vorherrschende Auffassung an, dass Coaching als Prozessberatung sich deutlich gegenüber Fachberatung, Training, Moderation und Organisationsentwicklung/Changemanagement abgrenzt und sich ausschließlich oder vorrangig an den Einzelnen wendet.

Um seinen Ansatz zu verdeutlichen, illustriert der Autor ihn mit sechs Beispielen aus seiner eigenen Coachingpraxis. Sie beziehen sich auf Coaching, Beratung, Moderation und Training von Einzelnen, Gruppen, Organisationseinheiten und Organisationen. Dabei kommen unterschiedlichste Verfahren aus der Toolbox von Coaching, Training, Teamentwicklung, Prozessberatung und Changemanagement zum Einsatz, nämlich: Interviews mit ausgewählten Organisationsmitgliedern, Einrichtung einer telefonischen Coaching-Hotline, Coachinggespräche per Telefon und face-to-face, Kurzzeitberatungen (Capuccino-Gespräche), halbtägige Workshops mit Einzelpersonen zwecks Coaching und Training, Coachinggespräche zu dritt, multiloyale Coachinggespräche mit verschiedenen Einzelpersonen, Fachworkshops, Problemklärungs-Workshops mit unterschiedlichen personalen Zusammensetzungen, Trainings-Workshops, Workshops zwecks Teamentwicklung, Workshops zur Verbesserung der Team- und Führungsperformance, Einrichtung und Begleitung von Steuergruppen und Reviewveranstaltungen.

Von besonderer Bedeutung sind dabei Tipps, die der Autor seinen Klienten „zuflüstert“ und damit wahrscheinlich den Protest vieler Coach-Kollegen provoziert, für die das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe und in diesem Sinne die Arbeit mit nondirektiven Interventionen grundlegend ist und die es deshalb (strikt) ablehnen, ihren Klienten Tipps zu geben wie beispielsweise: „Herr Meier, Sie müssen sich mehr öffnen“ (S. 29). „Es ist sicherer, nicht nur den eigenen Kopf durchzusetzen. Sie sollten mehr auf die Signale Ihres Bereichsleiters achten.“(S. 67) „Permanentes Ansprechen von Problemen erhöht nicht Ihre Wirksamkeit.“ (ebd.)

Den in seinen Praxisbeispielen sehr anschaulich zutage tretenden Ansatz begründet der Autor in enger Anlehnung vor allem an die wissenschaftlichen Arbeiten des Psychotherapeuten Hilarion Petzold. In diesem Sinne ist es ihm wichtig, sein humanistisches Menschenbild darzulegen und auf dieser Grundlage das „Metamodell“ eines „reflexiven Managements“ zu entwickeln. Dieses beruht auf drei Säulen, nämlich „Mehrperspektivität“, die die Wahrnehmung verschiedener Sichtweisen ermöglicht, „Exzentrizität“, mit der man Abstand zum Hier und Jetzt gewinnt, und „Ko-respondenz“ als der Fähigkeit, mit anderen im Gespräch zu sein. In dieser Struktur ist es die konzeptionelle Grundlage des vom Autor propagierten „Integrierten Management Coachings“.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das vorliegende Buch nicht dem Mainstream der aktuellen Coachingliteratur folgt. Es setzt neue Akzente und der Autor scheut sich nicht, gelegentlich auch gezielt zu provozieren. Er wendet sich damit vor allem an den erfahrenen Praktiker, der die Qualität seiner Praxisbeispiele mehr würdigen und vor allem auch ganz anders genießen kann als der Coaching-Anfänger, der zunächst einmal einen klar strukturierten Theorieaufbau mit vielen handhabbaren Tools wünscht.

Ob sich der vom Autor propagierte Ansatz eines „Integrativen Management Coachings“ langfristig durchsetzen wird, ist ungewiss. Wünschenswert wäre es jedoch, wenn die Provokationen, die von dem Buch ausgehen, argumentativ offensiv aufgenommen und zum Anlass für tiefer greifende Klärungsarbeiten würden. Das gilt vor allem für den Vorwurf, klassisches Coaching sei zu therapielastig, mit dem Rau signalisiert, dass er sich nicht von dem oft gebetsmühlenartigen Bekenntnis vieler Coaches und Coaching-Autoren blenden lässt, Coaching sei etwas anderes als Psychotherapie, ohne dabei im Einzelnen zu belegen, was genau der Unterschied ist und worin genau sich die für Coaching empfohlenen Verfahren von psychotherapeutischen Methoden unterscheiden. Eine solche Klärung ist umso wichtiger, je mehr versucht wird, Coaching mit anderen Verfahren der Organisationsberatung und -entwicklung zu verbinden und die für Coaching bisher wesentliche Fokussierung bzw. Blickwinkelverengung auf den Einzelnen zu überwinden, um zunehmend mehr auch das Organisationsganze im Blick zu haben. Der Autor hat in dieser Richtung zweifellos wertvolle Impulse gesetzt. Ihre Umsetzung in konzeptioneller und empirischer Feinarbeit steht noch weitgehend aus.